„Indische Gymnastik“ – Yoga und das westliche Missverständnis

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Yoga in seiner ursprünglichen Bedeutung wird mit Meditation gleichgesetzt. Ziel ist es, die Gedanken zur Ruhe zu bringen. Aus dem in Indien entstandenen Yoga entwickelte sich sowohl innerhalb des Ursprungslandes als auch in der westlichen Welt verschiedene Schulen. Wie sich heute wichtige Schulen voneinander unterscheiden, erfahren Sie hier.

Die Ursprünge des Yoga liegen etwa 700 vor Christi in Indien. Über einen Zeitraum von etwa 400 Jahren entwickelten sich bereits verschiedene Yogaschulen oder „Wege“.

Der indische Gelehrte Patanjali, dessen Lebensdaten nur ungenau auf den Zeitraum 2. – 4. Jahrhundert vor Christi datiert werden, hat zu seiner Zeit vier Yogawege beschrieben, die als klassisch gelten:

1. Raja Yoga meditativ orientierte Stufen des Achtgliedrigen Yoga (Ashtanga Yoga)

2. Jnana Yoga (Yoga der Erkenntnis, intellektuelle Richtung)

3. Karma-Yoga (Yoga der Tat, des selbstlosen Handelns)

4. Bhakti-Yoga (Yoga der Liebe/Verehrung/Hingabe an Gott)

Erst zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert entwickelte sich ein fünfter Weg, das Hatha-Yoga. Seit den 1960er Jahren rückte Yoga, hauptsächlich als Hatha-Yoga, auch in den Blickpunkt der westlichen Welt. Mit unterschiedlichen Einflüssen und Wechselwirkungen entstanden nun weitere Stile, die oftmals in den westlichen Kulturen auf den körperlichen Aspekt reduziert wurden.

Ursprüngliches Ashtanga-Yoga

Der im Yoga-Sutra beschriebene Yogaweg der Meditation heißt auch Ashtanga-Yoga, das heißt achtfacher Yogaweg. Dabei besteht dieser Weg aus den 8 Gliedern

1. Yama (Umgang mit anderen Lebewesen)

2. Niyama (Umgang mit mir selbst)

3. Asana (Sitz)

4. Pranayama (Atemübungen)

5. Prayahara (Innenschau)

6. Dharana(Konzentration)

7. Dhyana (Meditation)

8. Samadhi (Einheitsschau).

Modernes Ashtanga-Yoga

In Anlehnung an den Yogaweg des Yoga-Sutra ist im letzten Jahrhundert im südindischen Mysore eine Hatha-Yoga-Tradition entstanden, die sich ebenfalls Ashtanga-Yoga nennt. Dieses System in der Tradition des Yogis T. Krishnamacharya beschränkt sich hauptsächlich auf die Übungsfelder Körperstellungen (Asana) und Atemkontrolle (Pranayama), ist aber eines der körperlich anpruchsvollsten Hatha-Yoga-Systeme überhaupt. Es zeichnet sich vor allem durch drei festgelegte Serien von zumeist kraftvollen Yogastellungen aus, von denen aufgrund der Schwierigkeit meist aber nur die erste unterrichtet wird. Dennoch sagt einer ihrer Lehrer, Pattabhi Jois: „Jeder kann Ashtanga-Yoga praktizieren, außer faule Leute.“

Die Besonderheit des Ashtanga-Yoga besteht darin, dass es Abläufe von Übungen in Ruhe mit denen in Bewegung verbindet. Dabei wiederholen sich die Bewegungsabläufe mit dem Ziel, dass die Ausführenden in einen Zustand der Meditation kommen können. Zunächst jedoch werden die Wiederholungen mit den vier Hauptmerkmalen Dynamik, Atmung, Blickrichtung und Anspannen stabilisierender Muskelgruppen genutzt, um eine Konzentration und korrekte Durchführung zu ermöglichen.

Yogalehrerin Ulrike Wörrle betont: „Der Aufbau der Kraft, eine Stabilisierung des Körpers, seiner Gelenke, Muskeln, des Bindegewebe, der Nerven und Organe ist ein Ziel und durch die spezielle Atmung (Ujjayi) wird auch das vegetative Nervensystem positiv beeinflusst. Dieser Kombination wird eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben.“

Vinyasa-Yoga

Vinyasa-Yoga ist im Hinblick auf eine 2.700 Jahre alte Tradition ein neuer Stil. „Der Unterschied zum modernen Ashtanga-Yoga besteht vor allem darin, dass sich das Vinyasa-Yoga von der festgelegten Asana-Abfolge des Ashtanga-Yoga entfernt hat und ein völlig freies dynamisches Yoga lehrt, das von jedem Yogalehrer in jeder Yogastunde, immer wieder neu entwickelt wird“, betonen Nicole Roewers und Florian Heinzmann, die als Yogalehrer und Buchautoren die Yogaentwicklung aus der praktischen und geschichtlichen Perspektive kennen.

Krishnamacharya und sein Schüler Patabhi-Jois lehrten nach Prinzip des so genannten Vinyasa-Krama, dem dynamischen Üben. Unter Vinyasa versteht man eine dynamische Übungsabfolge im Atemfluss.

Hatha-Yoga

Wörtlich übersetzt bedeutet hatha Kraft und spielt auf die körperlich anspruchsvollen Übungen an. Hatha-Yoga hat das Bild von Yoga in der westlichen Welt wesentlich geprägt; es gilt als „das Yoga“, wenngleich es nur eine Spielart ist. Auch die Vorstellung, dass Yoga gewissermaßen „indische Gymnastik“ sei, rührt von der Verkürzung des Hatha-Yoga auf das rein Körperliche. Im Ursprung befasst sich Hatha-Yoga mit Ethik, Ernährungslehre, Reinigung, Atemübungen, Meditation und stellt also ein komplexes System dar, das die spirituelle Entwicklung des Übenden voranbringen soll.

Da Hatha-Yoga in seiner geschichtlichen Entwicklung wiederum verschiedene Ausprägungen erfahren hat und auch in der heutigen Zeit mehr als Überbegriff, denn als genaue Abgrenzung genutzt wird, ist eine scharfe Trennung zu anderen Stilen nicht immer ganz eindeutig zu treffen.

Während man Atemübungen in allen Yogastilen findet, bilden die Atemübungen (Pranayamas) den Hauptpfeiler des Hatha-Yoga. Wesentlicher Bestandteil des Hatha-Yoga sind dabei auch die sechs Hauptreinigungsübungen, die Shatkriyas. Die verschiedenen Hohlräume wie Rachenraum oder Bauch sollen von Schleim befreit und gereinigt werden.

Iyengar Yoga

Iyengar-Yoga ist eine nach dem 1918 geborenen Gründer B.K.S. Iyengar benannte Form des Hatha-Yoga, die im wesentlichen in den 1930er – 1940er entstand. Sie ist im besonders für den Einsatz von technischen Hilfsmitteln bekannt. Damit passte Iyengar die klassischen Übungen an die westlich geprägte Welt des 20. Jahrhunderts an. Denn die Hilfsmittel sollten es auch weniger geübten und eingeschränkten Personen ermöglichen, bestimmte Übungen einfacher durchzuführen.

Ein Haupt-Element des Iyengar-Yoga ist die Betonung der Stehpositionen. Die Stärkung der Beine hat dabei zum Ziel, die allgemeine Vitalität, Durchblutung, Koordination und Gleichgewicht zu verbessern. Spezielle Programme des Iyengar-Yoga sollen nach den Vorstellungen des Gründers gegen spezifische Störungen wie chronische Rückenschmerzen, Immunschwäche oder Depressionen helfen.

Gerade das Nutzen von technischen Hilfsmitteln und die Betonung des körperlichen Aspekts sorgen in der westlichen Welt häufig für eine gedankliche Reduzierung der Wirkungsabsicht.

LIW-Yogalehrerin Ute Welteroth: „Genau da liegt das Missverständnis: Erstens geht es um den Prozess. Zweitens haben die Übungen eine Intention. Es geht zum Beispiel darum, dass der Übende die jeweiligen Veränderungen betrachtet. Drittens haben die körperlichen Übungen auch Einfluss auf den mentalen oder seelischen Zustand. Anders gesagt: jede Übung ist so abgestimmt, dass eine psycho-mentale Wirkung oder eine biochemische Reaktion ausgelöst wird.“

Grundsätzlich geht Yoga davon aus, dass Körper, Geist und Seele zusammengehören. Daher ist es richtig zu sagen, dass sich seelische Zustände im Körper manifestieren. Eine bestimmte Körperhaltung, z.B. ein zusammengezogener Brustkorb, ist Ausdruck eines Seelenzustands. Im Gegenzug heißt das aber auch, dass Körperübungen Einfluss auf den seelischen Zustand nehmen.

Ayurveda-Yoga

Ayurveda und Yoga sind zwei Bausteine der indischen Gesundheitsphilosophie, die dazu dient, eine Balance unseres Körpers herzustellen. Wesentlicher Ansatzpunkt des Ayurveda-Yoga ist die Vorstellung, dass es verschiedene Menschen-Typen gibt. Dabei geht die indische Vorstellung davon aus, dass jeder Körper drei Energien besitzt: Vata, Pitta, Kapha. Diese sind im Idealzustand in einem Gleichgewicht, wobei es Grundkonstitutionen gibt, in denen eine Komponente stärker dominiert. Überwiegt jedoch ein Mangel bei einem Element, entsteht ein Ungleichgewicht. Das Ungleichgewicht zeigt sich in körperlichen Krankheiten oder psychischen Probleme. Je nachdem, an welcher Kraft es mangelt, sollen typbedingte Übungen helfen, das Gleichgewicht wieder herzustellen.

Beispielsweise werden bei einer Pitta-Erhöhung ruhige und nicht erhitzende Bewegungsformen bevorzugt. Bei schweren Pitta-Störungen sind einerseits ruhige Yoga-Asanas im Stehen, Sitzen und Liegen angesagt. Doch allein mit Yogapraxis - da sind sich die Verfechter des Ayurveda-Yoga einig - reicht nicht, solange ein Lebensstil verfolgt wird, der eben dieses Ungleichgewicht hervorruft. Deswegen wird komplementär auch mit Speisen und Körperölen gearbeitet. Im Beispiel der Pitta-Störung wären kühlende Speisen wie Gurke, Koriander, Kokosnuss sowie Öle wie Sandelholz und Ylang Ylang eine sinnvolle Unterstützung.

Was zunächst nach einer einfachen Typenlehre aussieht, stellt sich in der Praxis als durchaus stärker ausdifferenziert dar. So kommt es, dass es im Ayurveda-Yoga kaum Übungen oder Ratschläge für die Allgemeinheit gibt, sondern sich dieser Yogaweg als ziemlich individuell darstellt.

Yin-Yoga

Yin-Yoga gilt mit seinen vielen am am Boden ausgeführten und lang gehaltenen Stellungen als sanfter Weg und Ergänzung zum kraftvollen Hatha-Yoga.

Der Yoga-Stil entstand in den 1970er Jahren in den USA und ist vom taoistisch geprägten Kampfkunstlehrer Paulie Zink entwickelt worden. Im Vergleich zu den Hatha-Spielarten, die stärker auf den muskulären Apparat zielen, sollen die Yin-Übungen die tieferen Schichten, wie zum Beispiel Faszien (LINK), im Körper erreichen. Gerade dafür ist es wichtig, dass der Körper passiv und ohne Muskelanspannung ist.

Vertreter des Yin-Stils gehen davon aus, dass die Übungen auch einen energetischen Ausgleich herbeiführen. Der Grund: in Sehnen, Faszien und Bändern befindet sich das energieführende Meridiansystem.

Auch wenn Yin-Yoga nicht so kräfte- und schweißtreibend ist, benötigt dieser Stil ein hohes Maß an Achtsamkeit. Yogalehrer betonen, dass sich der Schüler langsam und vorsichtig in die Übungen hineingeben solle, ohne dass die Schmerzgrenze erreicht wird. Auch Hilfsmittel sind – ähnlich wie im Iyengar-Yoga – möglich, um bestimmte Übungen leichter durchführen zu können. Zentrales Ziel ist hierbei, dass die muskuläre Anspannung gelöst wird.

Herzlichen Dank an Florian Heinzmann, Nicole Roewers, Ute Welteroth und Ulrike Wörrle, die Informationen für diesen Artikel beigetragen haben.

Literatur

T.K.V. Desikachar (1998): Yoga, Heilung von Körper und Geist jenseits des Bekannten: Leben und Lehren Krishnamacharyas, Deutsche Ausgabe von 2012. Theseus in J. Kamphausen Verlag, Bielefeld (ISBN 978-3-89901-550-8).

Jois, Sri Pattabhi (2010), Yoga Mala. North Point Press; New York (ISBN 978-0-86547-751-3).

Nicole Roewers / Florian Heinzmann: Sixpack im Kopf – Meditiere dich stark und glücklich – dein tägliches 10-Minuten-Training (Unity-Training-Verlag).

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