Solidarische Landwirtschaft
Mehr als eine Nischenstrategie für Kleinbauern?!
Es ist ein Mittwochnachmittag im Juni. Auf dem Gelände des Bioland-Gärtnerbetriebs maingrün in Frankfurt/Main tragen junge Familien, ein paar Rentner und Studierende Kisten und Taschen prall gefüllt mit Gemüse aus den Gewächshäusern in ihre PKW oder laden sie auf ihre Fahrräder. Rein äußerlich ist daran nichts Besonderes zu erkennen. Und doch ist maingrün anders.
Irmtraud Schmid betreibt seit über 25 Jahren Biolandbau im Kleinbetrieb. Sie weiß genauestens Bescheid, was sich mit ihrem Betrieb maingrün auf nicht einmal einem Hektar Acker ökonomisch unter normalen Marktbedingungen erzeugen lässt. Wie für Kleinbetriebe mittlerweile üblich, konnte sie sich nur über eine Nische auf dem Markt halten. „Wir haben uns auf Frankfurter Grüne Sauce und Schnittsalat spezialisiert und beliefern damit Wiederverkäufer“.
Mit Kollegen diskutierte sie immer wieder die Aussichten für Kleinbetriebe und den Umstand, dass Lebensmitteln in Deutschland zu wenig Wertschätzung widerfahre. Und dann gab es da etwas, das sich nach einer Alternative zum bisherigen Wirtschaften anhörte: Das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft.
Vom Marktdruck zum Gemeinwohl
In kaum einem anderen Land sind das Discounter-Prinzip so verbreitet und die Lebensmittelpreise im Vergleich zu den Einkommen so niedrig wie in Deutschland. Dementsprechend stehen die heimischen kleinbäuerlichen Betriebe durch die niedrigen Marktpreise massiv unter Druck.
Die aktuelle Großwetterlage lautet „Wachsen oder Weichen“. 60 Milliarden Euro verteilt die EU mit ihrer Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (kurz: GAP) jährlich an die Landwirtschaft. Mit den Agrarsubventionen legt die GAP fest, welche Landwirtschaft sich lohnt. Aktuell werden die Gelder fast ausschließlich nach Flächenanteilen ausgeschüttet und somit Großbetriebe deutlich gefördert.
So kommt es, dass kleine und mittlere Betriebe vor zentralen Strukturproblemen stehen:
- Produktionskosten und erzielbare Warenpreise stehen in einem starken Ungleichgewicht
- Für kleine Betriebe gibt es keine fairen Wettbewerbschancen, sondern nur Nischen
- Generell fehlt es an einer ausreichenden Wertschätzung für landwirtschaftliche Arbeit
Hier kommt nun eine Wirtschaftsform ins Spiel, die im deutschsprachigen Raum als Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) firmiert. Die zentrale Idee dabei ist, dass die Landwirtschaft, nicht das einzelne Lebensmittel, finanziert wird.
Organisiert wird die SoLaWi oft durch Vereine oder vereinsähnliche Strukturen, manchmal auch eingetragene Genossenschaften. Gemeinsam ist ihnen, dass die einzelnen Mitglieder über einen Zeitraum von bspw. einem Jahr einen bestimmten Monatsbeitrag entrichten. Dieser berechtigt sie, regelmäßig eine bestimmte Menge an saisonalem Gemüse zu erhalten.
Für das Mitglied ist der direkte Kontakt zum bäuerlichen Betrieb, das Wissen um die Herkunft und Produktionsweise eine wesentliche Motivation. Die Förderung regionaler Landwirte, Frische und Vielfalt der Produkte, wenig/er Verpackungsmüll und vielleicht auch das Gefühl, Teil einer guten Sache zu sein, kommen dazu.
Vorteil für den bäuerlichen Betrieb ist eine bessere Planbarkeit des Anbaus. Darüber hinaus werden Risiken - wie Ernteausfälle durch Dürre oder Hagel - auf viele Schultern verteilt. Die Landwirte erhalten ein gesichertes Einkommen und mehr Gestaltungsspielraum.
Ziel ist es, die regionale Landwirtschaft zu erhalten und Menschen einen neuen Erfahrungs- und Bildungsraum zu bieten. Rund 200 Betriebe zählt das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (https://www.solidarische-landwirtschaft.org/) 2018 in Deutschland. Ein Jahr vorher waren es rund 160 Betriebe. Weitere 100 Initiativen sind dabei, Gemeinschaften zu gründen.
Vom Plan zur Verwirklichung
Manche „SoLaWis“ entstehen durch Initiativen von Interessierten, die sich einen Landwirt suchen. Irmtraud Schmid ging den umgekehrten Weg und suchte sich ihre Kunden. Unter Frankfurts Dunstglocke war offenbar die Idee der Solidarischen Landwirtschaft längst gereift. Obwohl oder weil bereits andere Initiativen in der Großstadt am Main mit dem Konzept arbeiteten, fanden sich schnell die benötigten 70 Mitglieder.
Irmtraud Schmid war erstaunt über die vielfältige Alters- und Sozialstruktur: mit Studenten-WGs, jungen Familien und Lehrern hatte sie gerechnet; mit Rentnern, „normalen Büromenschen“ und türkischstämmigen Frauen aber weniger. Seit April 2017 wird nun ein Teil der maingrün-Ackerfläche für Solidarische Landwirtschaft genutzt, der andere Teil bildet aber noch immer das Brot-und-Butter-Geschäft mit „Grüner Soße und Schnittsalat“.
„Natürlich ist die SoLaWi auch ökonomisch für uns interessant, weil wir für unsere zwei Vollzeitkräfte und eine Reihe von Saisonkräften ein sicheres Einkommen haben. Es besteht für uns jetzt eine kleinere Abhängigkeit von Bioläden und Marktbeschickern, die zum Beispiel Waren aufgrund der Optik nicht abnehmen wollen. Das Risiko für den Landwirt ist wesentlich reduziert, weil schon bei der Aussaat feststeht, dass die gesamte Ernte bereits verkauft ist.“
Geplant hat sie das Gemüseangebot nicht mit, sondern für die Mitglieder. Denn letztlich weiß nur sie, welche Gemüse und welche Mengen sinnvoll auf ihrem Acker anzubauen sind. So hat sie ihre Mitglieder informiert, die Gründe dargelegt und aufgezeigt, welche monatlichen Einnahmen sie durchschnittlich pro Mitglied benötigt. Anstelle eines arithmetisch errechneten Einheitspreises für alle wurde anonym in einer Bieterrunde ermittelt, wer wieviel zu geben bereit oder in der Lage ist. Mit diesem Verfahren ermöglicht es die Gruppe, auch die zu unterstützen, die nicht über so viel Geld verfügen.
„Es gibt für einen Kleinbetrieb, der Solidarische Landwirtschaft betreibt, eine Reihe von Vorteilen: so können wir eine größere Vielfalt an Gemüsen anbieten, ohne dass wir – wie im normalen Betrieb – die Effizienz jedes einzelnen Produktes rechnen müssen. Wir können samenfeste Sorten verwenden, die vielleicht nicht die Norm-Möhre produzieren, aber dauerhaft besser für die Landwirtschaft sind. Insgesamt erhöht sich die Biodiversität, was häufig einen geringeren Schädlingsbefall bedeutet und langfristig die Bodenqualität einfach verbessert.“
Und natürlich sorgt die Gemüsevielfalt bei Ernteausfällen einzelner Früchte oder Gemüse für ein geringeres Risiko auf beiden Seiten.
Wir nehmen den Lebensmitteln den Preis und geben ihnen ihren Wert zurück
LIW-Mitarbeiterin Svenja Paus ist mit ihrer Familie Mitglied in einer SoLaWi-Gemeinschaft. Die Gründe für sie sind vielfältig: „Als Mitglieder sind wir viel näher am Geschehen dran. Dadurch schätzen wir die Arbeit unseres jungen Landwirte-Teams sehr und freuen uns jede Woche auf unser Gemüse und den leckeren Käse.“ sagt die Mutter von zwei Kindern.
Der Hof tut sein Übriges, seine Mitglieder am Alltag teilhaben zu lassen. „Heute haben die Rehe unseren Salat entdeckt. Wundert Euch also nicht über die kleinen Spuren“, heißt es da im wöchentlichen Hofbrief. So und auch durch (freiwillige) gelegentliche Mitarbeit bei Ernte, Reinigung von Feldfrüchten und Packen erhalten die Mitglieder wieder mehr ein Gefühl, wie Lebensmittel entstehen, auch welchen Zwängen und Risiken die Landwirtschaft unterliegt.
Es geht auch anders, doch so geht es auch
„Natürlich ist die Solidarische Landwirtschaft nicht die Antwort auf alle Probleme in unserer Landwirtschaft“, konstatiert Irmtraud Schmid in Frankfurt ganz nüchtern. Aber das Konzept sei für eine Reihe von Kleinbetrieben eine gute Alternative zum „Wachsen oder Weichen“. Außerdem kommt das Konzept ohne Subventionen und ohne komplizierte Planungsverfahren aus. Ein Netzwerk von Initiativen sorgt dafür, dass sich die Idee schnell verbreitet und auch für die praktischen Herausforderungen bereits Lösungen bestehen.
Schmid freut es zudem, dass sich mit der Idee der SoLaWi auch neue Gesellschaftsgruppen für die Herkunft der Lebensmittel interessieren. Ob alle Mitglieder wohl ihren Enthusiasmus behalten? Auch da ist sie ganz nüchtern und sieht die SoLaWi als ein Konzept, das eben auch bestimmte Lebensumstände braucht, um für den Einzelnen zu passen.
Der eine oder andere wird auch wieder aussteigen, weil vielleicht die Wege durch Umzug zu weit oder durch Arbeitsveränderungen die wöchentliche Gemüsekiste nicht mehr sinnvoll ist. Trotz allem sieht sie klar die Vorteile der SoLaWi für alle Beteiligten. „Ansonsten hätte ich mich ja dafür auch nicht engagiert“, lacht Irmtraud Schmid.
Die Solidarische Landwirtschaft ist eine Möglichkeit, anders mit Lebensmitteln in unserer Gesellschaft umzugehen, Zusammenhänge zu lernen, wieder Wertschätzung für Produkte und Produzenten zu lernen – und sehr lebenspraktisch jenseits der großen Debatten „einfach zu machen“.
Zum Konzept und einer Liste der SoLaWi-Initiativen:
solidarische-landwirtschaft.org