Sieben Kinder sind zu viel
Die Weltbevölkerung wächst rasant, vor allem im südlichen Afrika. Dort bekommt jede Frau im Schnitt fünf Kinder. Die Folgen sind Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen. Aufklärung und Bildung können helfen, das Problem zu lösen.
In einem improvisierten Theater aus Wellblech und Sperrholz heißen junge Erwachsene am Rande eines Slums der kenianischen Hauptstadt Nairobi ihr Publikum willkommen. Nach dem Begrüßungstanz folgt ein Theaterstück. Es geht um einen Jungen und ein Mädchen, die sich ineinander verliebt haben. Das Stück ist weit mehr als Unterhaltung. „Wir wollen die Jugendlichen dafür sensibilisieren, dass sie keinen ungeschützten Sex haben, sondern dass sie Kondome verwenden“ meint Sarah Njoroge, eine der Laienschauspielerinnen der Jugendgruppe Creative Thespians. „Und wir stellen die Notfallpille vor, falls sie die Verhütung vergessen haben“.
Theater sensibilisiert Jugendliche für Verhütung
Wie wichtig dieses Theaterstück ist, das sieht man beim Gang durch die Gassen des Slums: Viele Mädchen halten kleine Kinder an der Hand oder auf dem Arm. Es sind nicht die älteren Schwestern, sondern junge Mütter – fast ein Viertel der kenianischen Teenager sind bereits Eltern. Die Erfahrung zeigt: Je früher eine Frau ihr erstes Kind bekommt, desto mehr Kinder wird sie insgesamt gebären. Dass das ein Problem ist, ist für die 20-jährige Sarah Njoroge offensichtlich. „Die meisten Familien hier haben sieben Kinder, manche sogar acht. Oft reicht das Geld nicht, um alle satt zu kriegen und schon gar nicht, für eine gute Schule oder Gesundheitsversorgung.“
Was die junge Frau da erzählt, ist bei weitem kein Problem, das es nur in ihrem Slum gäbe. Im Gegenteil: die kenianische Bevölkerung wächst alarmierend schnell. „Jedes Jahr kommen eine Million Menschen dazu. Unsere Ressourcen reichen dafür nicht! Es ist einfach nicht nachhaltig!“ erklärt George Kamau, kenianischer Landesdirektor der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, eine Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Bevölkerungswachstum Afrikas einzudämmen. „Es gibt bereits Konflikte“, meint er sorgenvoll. „Das Land ist mancherorts schon in so kleinen Parzellen aufgeteilt worden, dass man darauf nichts anbauen kann. Sie sind gerade groß genug, um ein kleines Haus zu bauen. Das Land lässt sich nicht vergrößern. Es wird mehr Konflikte geben.“
Hohe Geburtenrate – hohe Kindersterblichkeit – hohe Armut
Ausgerechnet dort, wo die Menschen besonders arm sind, werden besonders viele Kinder geboren. Weil die Kindersterblichkeit hoch ist, haben viele Familien vorsichtshalber mehr Kinder als sie eigentlich wollen. Viele Kinder zu haben bedeutet auch Wohlstand, zumindest kurzfristig, denn die Kinder werden als Arbeitskräfte gebraucht. Die Jungen hüten die Kühe beim Grasen in der Steppe, die Mädchen laufen weite Strecken, um Feuerholz und Wasser zu holen. Je mehr Kinder man hat, desto besser geht es einem selbst. Außerdem erhalten die Familien einen hohen Brautpreis, wenn sie ihre Töchter verheiraten.
Unter diesen Vorzeichen ist es schwer zu vermitteln, dass die hohe Geburtenrate für das Land ein Problem ist. Das einzige, was hilft, ist Aufklärung über die Zusammenhänge zwischen vielen Kindern und Armut und auch ganz simple über die menschliche Biologie. Doch im konservativen Kenia kommt das viel zu spät im Unterricht dran. „Es ist verboten in der Schule vor Kindern über Verhütung zu sprechen“ erzählt George Kamau kopfschüttelnd. „Unter 16-jährigen zu demonstrieren, wie man ein Kondom verwendet, ist illegal. Lehrer, die das machen, können eingesperrt werden.“
Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung will diese Lücke füllen. Zur Aufklärung schickt sie keine Erwachsenen in die Slums, sondern engagierte interessierte Jugendliche wie Sarah Njoroge, die in Jugendclubs neue Wege finden, um die Jugendlichen auf Augenhöhe anzusprechen. „Wenn wir mit den Jungen und Mädchen über Sex und Verhütung sprechen, sind sie viel offener, als wenn ein Lehrer oder Sozialarbeiter das tun würde“ erklärt sie. „Und mit unserem Theaterstück erreichen wir sie viel besser, als es ein Buch könnte, weil sie es unterhaltsam finden und viel einfacher zuhören können.“
Deutsche Stiftung Weltbevölkerung hilft und klärt auf
All die Aufklärung nutzt wenig, wenn es keinen Zugang zu Verhütungsmitteln gibt. In der Stadt ist es eigentlich kein Problem welche zu bekommen. Doch Teenager gehen meistens nur ungern zu den Gesundheitsstationen. „Wenn sie dort Verhütungsmittel holen wollen, dann werden sie als erstes gerügt und man sagt ihnen, sie seien noch nicht alt genug für Sex. Das schreckt viele ab.“ Sarah Njoroge erinnert sich selbst noch gut daran, wie sie abgekanzelt wurde, als sie nach einem Implantat fragte. Gesundheitsstationen jugendfreundlicher zu machen ist einer ihrer Forderungen.Auf dem Land, wo die Wege zur nächsten Gesundheitsstation weit sind, ist Familienplanung auch für verheiratete Frauen schwierig – auch deshalb, weil ihre Männer damit nicht einverstanden sind. Viele glauben den Gerüchten, Verhütungsmittel schmälerten das sexuelle Vergnügen. Je länger Mädchen in die Schule gehen, desto weniger Kinder bekommen sie. Weil sie später mit dem Kinderkriegen anfangen, weil sie in der 10. Klasse dann doch noch etwas zum Thema Verhütung in der Schule lernen und weil sie mit einem Schulabschluss in der Tasche auch berufliche Ambitionen haben. Aufgeklärte Frauen besorgen Verhütungsmittel deshalb nicht selten heimlich. Wie so oft ist Bildung der Schlüssel zur Lösung des Problems.
Bildung als Schlüssel zur Lösung des Problems
Wie viele Kinder Sarah später selber einmal haben will? Die junge Frau überlegt. „Ich glaube, in unserer Gesellschaft ist die maximale Anzahl von Kindern, die eine Familie haben sollte, vier. Ja, vier ist gut, dann können alle zur Schule und zum Arzt gehen und anständig ernährt werden.“ Nach unseren Maßstäben sind vier Kinder immer noch viel, doch in Kenia wäre das ein echter Fortschritt.
Autorin: Katharina Nickoleit, Journalistin, LIW-Seminardozentin für Kenia
Bildquelle: RobertoVi, Pixabay
Das LIW bietet 2019 erstmals ein Seminar in Kenia an, inhaltlich geht es um Bevölkerungswachstum und Globalisierung. Ein Treffen mit einem Vertreter der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung ist Teil des Seminars.