Schweden - Vorbild für Work-Life-Balance?
Wenn es um Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gleichstellung von Frauen und Männern geht, gelten die skandinavischen Länder, allem voran Schweden, als Vorreiter in Europa, vielleicht sogar weltweit. Doch was genau sind die so oft bewunderten Errungenschaften? Wie sieht es im Vergleich zu Deutschland aus?
Eine ausgeklügelte Strategie
Die Gleichstellung der Geschlechter ist in Schweden nicht nur ein hehrer Anspruch, sondern in vielen Bereichen bereits Praxis. Dafür ist das Land einen weiten Weg gegangen und hat, angefangen von der gesetzgeberischen Ebene bis hin zur Bildungsorganisation, ein System geschaffen, in dem der Leitgrundsatz „Erwerbsmöglichkeit für alle“ umgesetzt werden kann.
So gibt es ein Ministerium für Chancengleichheit, einen Ombudsmann gegen Diskriminierung und eine Reihe von flankierenden Gesetzen, die insbesondere Frauen schützen sollen. Eine vergleichsweise gut bezahlte Elternzeit sorgt zudem dafür, dass für Frauen und Männer eine bessere Teilhabe am Erwerbsleben und der Familienzeit möglich ist. Eine Lohn- und Gehaltstransparenz sorgt zudem für einen nötigen Druck auf die Arbeitgeber.
Schweden hat in vielen Gleichstellungsbelangen im europäischen Vergleich früh angefangen, gesetzgeberisch Grundlagen zu legen. Hier drei Meilensteine:
1921: passives und aktives Wahlrecht für Frauen
1965: Gesetz gegen die Vergewaltigung in der Ehe
1974: als erstes europäisches Land führt Schweden die Elternzeit ein
Diverse Antidiskriminierungsgesetze folgten und legten auf der juristischen Ebene die Basis für eine gleichberechtigte Teilhabe.
Frauenförderung in der Bildung
Schweden hat erkannt, dass nur aufeinander abgestimmte Maßnahmen dafür sorgen können, dass mittelfristig eine Gleichheit erreicht wird. Dazu gehört, dass es gleiche Bildungschancen für Mädchen und Jungen gibt. In der Schulbildung zeigt sich zurzeit jedoch ein sogenanntes inverses Gleichstellungsproblem: mehr Mädchen als Jungen gehen mit einem Abschluss weiterführender Schulen ab. Das setzt sich im Studium fort, wo 60% der Bachelor-Studiengänge von Frauen belegt werden. Erst wenn es um den Master- und Doktor-Abschluss geht, sind die Verhältnisse wieder ausgeglichen.
Elternzeit: in Schweden attraktiver
Im Vergleich zu Deutschland, das eine bezahlte Elternzeit von 12 Monaten bei maximal 1.800 € pro Monat und eine unbezahlte Zeit, insgesamt in einem recht festen Rahmen, kennt, ist das schwedische Modell äußerst flexibel und mit 480 Tagen nominell länger.
In den ersten 390 Tagen erhält das zu Hause bleibende Elternteil 80% des vorherigen Gehalts beziehungsweise maximal 100 € pro Tag. Die restlichen 90 Tage werden dann nur noch mit umgerechnet 19 € pro Tag vergütet. Positiv ist allerdings, dass die Elternzeit nicht nur am Stück, sondern von monatsweise bis zur Stundenreduzierung genutzt werden kann.
Diese Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass in Schweden immerhin 24% der Männer die Elternzeit genutzt haben. In Deutschland ist die Quote wesentlich niedriger, wobei hier ein direkter Vergleich unterschiedlicher Bemessungsmaßstäbe nicht möglich ist.
Paradies auf Erden?
Dennoch wissen die Schweden, dass sie keineswegs am Ziel sind. Nicht nur Lohn- und Gehaltsunterschiede, sondern auch der Anteil der Führungspositionen in börsennotierten Unternehmen und in der Wirtschaft ist durchaus noch steigerungsfähig.
Während im Durchschnitt 37% der Führungskräfte in Handel, Produktion und Dienstleistungen in Schweden Frauen sind, liegt der Anteil in Deutschland bei 29%. Betrachtet man jedoch allein nur den Anteil der weiblichen Führungskräfte, so firmiert Schweden im internationalen Vergleich nur an 5. Stelle. Lettland mit 44% Frauenanteil führt dabei die Tabelle an.
Auf das Entgelt bezogen erhalten Frauen in Schweden nur rund 87% des Lohns oder Gehalts der Männer. Im Vergleich dazu bekommen Frauen in Deutschland 79% und in Lettland rund 82%.
Nur der König ist nicht nackt: Lohn-Transparenz
Dass der Gender Pay Gap, wie die Lohn- und Gehaltsunterschiede neudeutsch heißen, in Schweden geringer ist, hängt nicht nur von dem politischen Willen und den entsprechenden Maßnahmen ab. Die Möglichkeit, von jedem Schweden das Gehalt oder den Lohn zu erfahren, führt dazu, dass es in Schweden eine große Transparenz gibt, die natürlich das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten schärft. Jeder Bürger hat eine Personennummer, die ihn von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Und diese ist es, die einen tiefen Einblick für jeden Schweden bietet. Bis auf das schwedische Königshaus ist gewissermaßen jeder nackt.
Doch der Lack blättert ein wenig ab, schaut man einmal genauer auf die Lebensverhältnisse in Schweden. Für einen Deutschen sind die Grundstücks- und Hauspreise - abgesehen von den Metropolen - wesentlich geringer. Doch wer einmal Urlaub in Schweden gemacht hat, weiß, dass die Lebenshaltungskosten höher sind. Dazu kommen höhere Steuern. Das zusammen ergibt einfach auch eine Notwendigkeit, dass in den Familien meist beide Partner arbeiten müssen.
Was am Ende rauskommt
Häufig arbeiten Frauen auch in Schweden nach der Elternzeit nur noch Teilzeit. Das wiederum bedeutet am Ende, dass sie weniger Rente erhalten. In Schweden wie in Deutschland ist diese Problematik nach wie vor ungelöst.
Dass sich die Verhältnisse in Schweden auch weiterhin verbessern werden, ist natürlich kein Selbstläufer. Doch die „erste feministische Regierung der Welt“ – so die Selbstaussage der skandinavischen Politiker – hat einen Rahmen geschaffen, der Frauen weltweit die besten Arbeitsbedingungen und auch Karrierechancen bietet. Für zusätzlichen Druck sorgt die „16:00 rörelsen“, eine Bürgerinitiative aus politischen Frauen, Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Sie führen ihre Kampagnen in der Öffentlichkeit mit einem eindrücklichen Bild: Während Männer ihre vollen acht Stunden bezahlt bekommen, arbeiten Frauen ab 16 Uhr umsonst.
Auf Lorbeeren ausruhen?
Betrachtet man die Bereiche Wirtschaft, Politik, Bildung und Gesundheit insgesamt, ist Schweden international führend. Das hat das Weltwirtschaftsforum in einem weltweiten Vergleich festgestellt. Eine breite gesellschaftliche Zustimmung zur Gleichberechtigung, die über Parteigrenzen hinweg geht, sowie außerparlamentarische Druckmittel wie die 16:00 Uhr-Bewegung halten das Thema im öffentlichen Bewusstsein: Es ist viel erreicht, aber es bleibt noch genug zu tun.
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