Norwegen – Zwischen Öl und „Öko“
Norwegen zählt zu den am weitesten entwickelten Ländern der Welt. Sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist das drittgrößte und das Land verfügt über ein sehr gutes Sozialsystem. Diesen Status verdankt es seinem Ölreichtum. Gleichzeitig ist den Norwegern der Schutz ihrer Natur ein sehr wichtiges Anliegen. Und so entwickeln sie schon seit Jahren den Tourismus und ihre Energiewirtschaft in nachhaltiger Weise weiter.
Wie in Schweden und Finnland gehören auch in Norwegen Aufenthalte in der freien Natur zum Leben dazu. Dabei sorgt das sogenannte Jedermannsrecht dafür, dass jede/r zum einen die Natur genießen und ihre Früchte nutzen darf, also auch unabhängig von den Besitzverhältnissen. Zum anderen dürfen dabei weder die Natur, noch andere Menschen gestört werden oder Schaden nehmen.
Ihre eindrucksvolle Landschaft, ihre Ortschaften und ihre Lebensweise zu bewahren, ist zu einem Grundprinzip der Menschen geworden. Und so hat Norwegen bisher 46 Nationalparks ausgewiesen, davon 39 auf dem Festland und sieben auf Spitzbergen. So entstanden Nationalparks mit einer geschützten Fläche von insgesamt rund 65.000 km².
Vor allem wegen seiner Natur kommen jedes Jahr Tausende von Touristen nach Norwegen. Das Land hat sich 2017 am „Internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung“, welches von den Vereinten Nationen ausgerufen wurde, intensiv beteiligt. Ziel war es, öffentliche und private Entscheidungsträger für eine nachhaltige Fremdenverkehrs-Entwicklung zu sensibilisieren. Um für Touristen diese Maßnahmen sichtbar zu machen, sind verschiedene Umweltsiegel für nachhaltigen Tourismus entwickelt worden. Beispiele dafür sind:
- Ecotourism Norway – ein nationales Programm zur Aufrechterhaltung eines hohen internationalen Standards im Ökotourismus
- Nordic Swan – für Beherbergungsbetriebe. Ausgezeichnet wird das betriebliche Umweltmanagement.
- Eco-Lighthouse prüft die Bereiche Energieverbrauch, Abfallentsorgung, Transport, Beschaffung und Arbeitsumgebung. Über 5.000 Unternehmen in Norwegen erhalten die Zertifizierung, die alle drei Jahre erneuert werden muss.
Sie garantieren, dass die gekennzeichneten Angebote strenge Regeln und Richtlinien befolgen: für Produktion und Abfallmanagement, für Energie und Verkehr, und für den Einsatz von Chemie. Viele der Maßnahmen gehen sogar noch weiter, als es das norwegische Gesetz verlangt. Die Umweltsiegel sollen helfen, einen Tourismus zu entwickeln, der einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck hinterlässt.
Norwegens Energiepolitik und der Wohlstand
Die Grundlage des Wohlstands im Land bildet Norwegens Ölreichtum, der seit den 1970er Jahren kontinuierlich hauptsächlich durch einen Staatskonzern ausgebeutet wurde. Dabei werden Öl und Gas nicht im eigenen Land verbraucht, sondern exportiert. Die eigene Energieversorgung läuft derweil zu 99 % über Wasserkraft.
Norwegens Anteil an der Welterdölförderung betrug 2017 etwa 2 %. Dabei nimmt die Förderung des Öls seit 2001 zugunsten von Erdgas ab.
Die hohen Weltmarktpreise für Öl, die starke Förderung und die vergleichsweise geringe Bevölkerung tragen zu Norwegens sehr hohem Pro-Kopf-Einkommen bei. Die Norweger haben jedoch erkannt, dass ihre Ölreserven voraussichtlich nur noch einige Jahrzehnte reichen werden. Da aber das Sozialsystem wesentlich vom Öl finanziert ist, haben die Norweger auch hier Nachhaltigkeit zum Wirtschaftsprinzip erhoben.
Nachhaltiges Wirtschaften aus Prinzip
Seit 1990 existiert ein Ölfonds. In diesem werden die enormen Erträge aus dem Ölexport angelegt. Das Geld wird nur auf ausländischen Märkten investiert, um einem Überhitzen der inländischen Wirtschaft und einer Aufwertung der norwegischen Krone vorzubeugen. Die im 1996 gegründeten staatlichen Pensionsfonds Ausland („Government Pension Fund Global“) angelegten Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft hatten Ende 2017 einen Marktwert von rund 875 Mrd. Euro. Die Geldanlage wird dabei von den Prinzipien ethischen Investments geleitet. Dafür berät ein fünfköpfiger Ethikrat das Management des Ölfonds.
Nachhaltig ist dabei auch die Entnahme geregelt. Denn jährlich dürfen maximal 3 % des Kapitalstocks aus dem Fonds zur Finanzierung des Staatshaushalts entnommen werden. Mit einem Nettoabfluss in den Staatshaushalt von rund 6 Mrd. Euro im Jahr 2017 lag man weit unter der gesetzten Grenze.
Dennoch ist die Ölförderung ein zweischneidiges Schwert. Unfälle und auch einige undurchsichtige Transaktionen des Staatskonzerns lassen das auf Nachhaltigkeit angelegte Konzept nicht immer makellos glänzen. Doch auch hier tut sich einiges. Denn seit April 2018 hat sich der vormalige staatliche Öl- und Gaskonzern Statoil unter dem neuen Namen Equinor ASA auf den Weg zu einem internationalen Energiekonzern gemacht, der zunächst noch mit einem Energiemix arbeitet, sukzessive aber den Umstieg auf regenerative Energien versucht.
Unterstützt wird diese wirtschaftliche Ausrichtung durch die Politik. Norwegen gehört auf internationalen Umwelt- und Klimakonferenzen zu den engagiertesten Teilnehmern. Die Regierung hat beschlossen, sich an den Klimazielen der EU zu orientieren und verfolgt hohe Reduktionsziele. Im Gegensatz zu Deutschland wird es die ehrgeizigen Ziele wohl auch erreichen.
Norwegen und die Wasserkraft – Elektro-Pioniere
Norwegens Strom kommt zu 99 % aus erneuerbarer Wasserkraft. Die Preise für Strom sind mit rund 16 Cent etwa halb so teuer wie in Deutschland, was dazu führt, dass in öffentlichen Gebäuden oft das Licht 24 Stunden am Tag brennt. Die niedrigen Strompreise und die geringe Bevölkerungsdichte sorgen dafür, dass Heizungen in der Regel auch strombetrieben sind.
Strom ist also im Überfluss vorhanden, so dass Norwegen diesen Vorteil nutzt, um die Elektrifizierung des Verkehrs voranzutreiben. Im Land gibt es mittlerweile über 110.000 batteriegetriebene Kfz. Ermöglicht wird der Boom durch eine massive staatliche Förderung: So fallen beim Kauf eines Elektro-Neuwagens nicht nur die Mehrwertsteuer in Höhe von 25 % weg, sondern auch die Importabgaben. Dazu können E-Autos öffentliche Parkplätze und Busspuren kostenlos benutzen sowie an rund 4.000 Ladestationen Ökostrom gratis tanken.
(Nicht nur) in Norwegen führt Wasserkraftnutzung auch zu Konflikten mit dem Naturschutz. Ausbaupotentiale sehen Naturschützer somit nicht in weiteren Neubauten, sondern in Effizienzverbesserungen bestehender Kraftwerke.
Schiffbau und Seeschifffahrt
Norwegen weist bis heute die viertgrößte Handelsflotte der Welt auf. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt machen Schifffahrt und Schiffbau sowie damit verwandte Branchen den zweitgrößten Wirtschaftszweig Norwegens aus. Im Jahr 2012 waren in Norwegen 1281 in Norwegen registrierte Schiffe sowie 117 im Ausland registrierte norwegische Schiffe über 1000 BRT in Gebrauch.
Auch hier hat ein Umdenken stattgefunden. „Der Preis für Strom ist so gering, dass man keine Verbrennungsmotoren im Verkehr mehr braucht“, sagt Per Stensland von der staatlichen Vermarktungsagentur Innovation Norway. Die Elektrifizierung des Schiffsverkehrs sei somit naheliegend. Denn die Schifffahrt gilt als einer der größten und zugleich meist unterschätzten Klimasünder, da sie zu den größten Emittenten von Feinstaub und CO2 zählt.
Abgasfreie Binnenschifffahrt
Norwegen hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, abgasfreie Fähren, Arbeitsschiffe und Ausflugsboote zu entwickeln. Einige sind dort schon im Einsatz.
Die erste elektrische Autofähre der Welt, die „Ampere Stavanger“, verkehrt seit 2014 im Sognefjord nördlich von Bergen. Fünf weitere Elektro-Fähren sind hinzugekommen, bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen alle Autofähren in den Fjorden mit Batteriekraft angetrieben werden.
So verfügt beispielweise auch der Katamaran einer Lachsfarm über einen vollelektrischen Antrieb. Der Treibstoffverbrauch reduziert sich hierdurch um 63.000 Tonnen und die Kohlendioxid-Emissionen um 200.000 Tonnen jährlich. Der Motor wird aus der Kraft von Lithium-Ionen-Batterien gespeist. Das Farmschiff zählt zu den Pionieren der Ingenieure bei dem Versuch, die Luftverschmutzung durch den Seeverkehr mit Elektroschiffen in den Griff zu bekommen.
Farmschiffe bilden dabei ein vielversprechendes Segment. Rund 1.300 ihrer Art würden von den rund 1.000 Fischfarmen in Norwegen genutzt. Noch größer sei der potenzielle Markt für Fischerboote in Norwegen mit 5.100 Fahrzeugen.
Alternativen für die Seeschifffahrt
Ab 2020 werden die internationalen Vorgaben für umweltschädliche Treibstoffe in der Schifffahrt deutlich verschärft. Das stellt die Transport- und Kreuzfahrtschifffahrt vor große Herausforderungen. Verschiedene Alternativen von Windsegeln bis flüssiggasbetriebenen Schiffsmotoren sind dabei erörtert worden. Denn elektrische Antriebe kommen aufgrund der Entfernungen in absehbarer Zukunft nicht in Frage.
Norwegen: Pionier für flüssiggasbetriebene Schiffsmotoren
Seit einiger Zeit hat sich die Zulieferindustrie den Herausforderungen gestellt und geeignete Schiffsmotoren stehen für den Antrieb und auch zur Stromerzeugung für das Bordnetz zur Verfügung bzw. befinden sich in der Einführungsphase. Norwegen ist dabei Pionier beim Bau und Betrieb von Schiffen mit Flüssiggas-Antrieben, dem sogenannten Liquified Natural Gas, kurz: LNG.
Etwa vierzig Fährschiffe und Versorger werden erfolgreich mit dem Flüssiggas betrieben und Norwegen ist damit weltweit führend. Denn hier gibt es inzwischen entsprechende Vorschriften und auch die notwendige Infrastruktur zum Betanken derartiger Schiffe.
International ist Norwegen dabei, die entsprechende Infrastruktur-Entwicklung anzustoßen. Bislang kann das Flüssiggas in der südlichen Nordsee lediglich in Zeebrugge (seit 1987), Rotterdam und im ostenglischen Hull, in der Ostsee in Litauen sowie an der Oder-Mündung getankt werden.
Eine andere Lösung bieten Hybridschiffe, die in Häfen oder in Landnähe von konventionellem Antrieb auf Batteriebetrieb umschalten können.
Wo steht Norwegen?
Nachhaltigkeit ist im 21. Jahrhundert zum zentralen Schlagwort geworden. Die Vereinten Nationen haben auf dem Weltgipfel 2015 insgesamt 17 Ziele beschlossen, wie die Staaten bis 2030 auf wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ebene nachhaltig arbeiten sollen.
2016 wurde ein erster Bericht veröffentlicht, der die bisherigen Anstrengungen abzubilden versucht. Kurzum: alle Länder sind noch weit vom Ziel entfernt. Gleichzeitig belegen die skandinavischen Länder, darunter eben auch Norwegen, aktuell mit Abstand die vier Spitzenplätze bei der Umsetzung der Vorgaben.