Kuba – Zwischen Revolutionsromantik und Aufbruch
Als 1996 unter tatkräftiger Hilfe des US-amerikanischen Musikers Ry Cooder die CD Buena Vista Social Club erscheint, rückt unverhofft Kuba wieder in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit. Im Rückblick ist der mit dieser Veröffentlichung revitalisierte Son Cubano zum Sinnbild einer sich langsam verändernden Gesellschaft Kubas geworden.
Hatte sich Kuba nach der Revolution nicht nur vom politischen Westen abgeschottet, sondern auch kulturell den Son Cubano als Alte-Männer-Musik ins Aus befördert, so riefen 1996 die Musik und Covergestaltung ein vorrevolutionäres Kuba mit eben diesen alten Musikern hervor. Diese spielten entgegen ihres biologischen Alters eine durchaus sehr vitale, lebendige Musik. Anders als zwischen 1960 – 1990, wo Kuba als Sehnsuchtsort der Linken galt, beschworen die Musik und die bildliche Umsetzung mit verfallenen Villen und alten, bunten amerikanischen Limousinen jenen morbiden Charme des vor-revolutionären Kubas, der nun eine neue Sehnsuchtsgeneration hervorbrachte.
Zwischen bunten Abziehbildern fröhlich musizierender Kubaner und günstiger Tourismusangebote auf der einen Seite und wachsender sozialer Ungleichheit und Emigrationsdruck auf der anderen Seite, bewegt sich Kuba spätestens seit Raúl Castros Öffnungspolitik in einem ungeheuren Spannungsfeld. Der Handschlag Barack Obamas mit Raúl Castro am Rande der Trauerfeierlichkeiten von Nelson Mandela gilt als Auftakt einer neuen Ära zwischen Kuba und den USA. Ob und wie der amtierende US-Präsident Trump die Politik der Annäherung und Aussöhnung fortführen wird, ist ungewiss.
Kuba – erfolgreicher Sozialismus?
Für viele Linke war Kuba das Modell eines erfolgreichen Sozialismus: Kostenfreie Bildung an Schulen und Universitäten, ein kostenloses Gesundheitssystem und staatlich bezahlte Arbeitslosenversicherung waren die Flaggschiffe, mit denen das Land weithin Aufmerksamkeit bekam. Der Lack bröckelte allerdings mit dem Niedergang des Ostblocks. Denn mit dem Zerfall der Sowjetunion entfiel auch die großzügige Unterstützung aus Moskau, so dass die Sozialleistungen unter einen enormen Druck geraten sind.
Kostenfreies Medizinstudium – Abarbeiten im Ausland
Zwar ist beispielsweise das Medizinstudium nach wie vor kostenfrei. Doch Kubas Ärzte müssen nach ihrer Ausbildung zunächst einmal für den Staat arbeiten. Gerne „vermietet“ Kuba die Ärzte ins Ausland. Allein Brasilien soll 11.000 kubanische Ärzte beschäftigen. Ein Großteil dieser Einnahmen durch Medizinexport fließt in Kubas Staatssäckel.
Obwohl Kuba selbst wirtschaftliche Probleme hat, entsendet das Land weltweit mehr medizinische Helfer in die Krisengebiete der Erde als die WHO. Das solidarische Kuba existiert also noch real. Wer als Arzt dann wieder zurückkommt, verdient 44 € - im Monat. Allerdings sind Mieten noch immer vergleichsweise niedrig und viele Sozialleistungen werden vom Staat getragen. Doch ein Arzt hat in Kuba weder Privilegien noch einen guten sozialen Stand.
Bildung für alle?
Gleiche Bildungschancen für alle – das stand hinter der Überlegung, schulische und universitäre Bildung kostenfrei anzubieten. Doch die Kehrseite im heutigen Kuba sieht so aus, dass Lehrer so schlecht bezahlt werden, dass sie entweder einen Zweitjob annehmen müssen oder ganz die Branche wechseln. Selbst Jobs im Tourismus – ob Kellner oder Taxifahren – sind offenbar lukrativer als vor der Klasse zu stehen. 12.000 Lehrer – so ein Bericht aus dem Jahr 2015 – sollen fehlen. Mit umgerechnet 22 Euro liegt das monatliche Lehrergehalt so niedrig, dass nach der Wirtschaftskrise in den 1990ern und Subventionskürzungen eine vierköpfige Familie damit kaum ein Auskommen hat. Sie bräuchte fast das Dreifache.
Dieses grundsätzliche Problem führt dazu, dass sich zu wenige junge Menschen als Lehrer ausbilden lassen. Mit pensionierten Lehrern und jungen Hilfslehrern versucht man die Missstände zu kaschieren. Doch wer es sich leisten kann, schickt sein Kind auf eine Privatschule. Und dieser Umstand ist nur ein Indiz, dass die ehemals nivellierten Klassenunterschiede seit den 1990er Jahren wieder aufbrechen.
Tourismus als neue Wohlstandsquelle?
Als Barack Obama im Dezember 2014 zwischen den USA und Kuba die politische Eiszeit beendete, war dieses ein Startsignal für den Tourismus. Allein ein Jahr später waren es bereits 3,5 Millionen Urlauber, die in das Land strömten. Mit dem Wunsch, den sozialistischen oder auch den morbiden Charme des vorrevolutionären Kubas noch zu erleben, bevor Hotelketten und Tourismus-Monopolisten auch dieses Land vereinheitlichen, waren die meisten Besucher bereits im Jahr 1 vom Massentourismus überrascht.
Eines zeigt sich bereits: schon jetzt übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem. Quartiere sind genauso wie zum Beispiel fremdsprachige Reiseführer Mangelware. Gleichzeitig steigen aber die Kosten für Übernachtungen stärker an, als es die Qualität der Unterkünfte eigentlich zuließe.
Zudem kann der Tourismusboom eine harte Belastungsprobe für die einst klassenlose Gesellschaft werden. Der ehemalige Lehrer, der als Taxifahrer oder Reiseführer nun ein Vielfaches seines früheren Gehaltes in harten Devisen verdienen kann, weckt bei den Zurückgelassenen zunehmend sozialen Neid.
Wenn mit dem Bau von Hotels nicht gleichzeitig auch die allgemeine Infrastruktur verbessert wird, wird der Kampf um Wasser und Strom mit ziemlicher Sicherheit auf dem Rücken der Schwächeren ausgetragen. Schon jetzt ist an verschiedenen Orten zu sehen, dass das ökologische Gleichgewicht zerstört, Strände unwiderruflich verändert und archäologische Sehenswürdigkeiten vernichtet wurden.
Lebenskunst statt Depression
Für einen deutschen Betrachter könnte all das Grund genug sein, in tiefe Depressionen zu verfallen. Und die Kubaner? Der Mangel und die staatliche Regulierung haben viel Kreativität freigesetzt. Ob Reparatur einer Waschmaschine oder ein Transport von A nach B. Es gibt immer eine Lösung, weil jeder über private Netzwerke verfügt.
Wer einmal in einer privaten Pension in Kuba Urlaub gemacht hat oder auf andere Wege näheren Kontakt mit den Einheimischen hat, spürt sie: die Herzenswärme, Gastfreundschaft und unglaubliche Lebensfreude, die über die Unbillen des Lebens erhaben zu sein scheint. Das Klischee vom Kubaner mit Zigarre und einem Gläschen Rum, der Musik an nahezu jeder Straßenecke – man bekommt es wieder und wieder bestätigt.
Und der Buena Vista Social Club?
Die meist alten Herren des Buena Vista Social Club haben eine zweite Karriere hingelegt. Die musikalischen Botschafter sind rund um den Globus gereist und haben mit dafür gesorgt, dass Kuba zu einem neuen Sehnsuchtsort geworden ist, wenn auch mit anderen Vorzeichen als vor fünfzig Jahren.